Der Geist der Zeit weht auch im Shitstorm

Wie man mit Bedacht die Ruhe vor dem Sturm nutzt, warum nicht jeder Windstoß gleich ein Orkan ist und warum das Titelbild keinen braunen Sturm zeigt.

So ein Mist. Beinahe täglich werde ich als Berater mit dem Thema „Shitstorm“ konfrontiert. Und das zumeist vollkommen überflüssig. Denn der Shitstorm bleibt die große Ausnahme. Der größte Teil der Internetkommunikation fokussiert auf Inhalte, die vermittelt und kommentiert werden. Denn das ist ja die große Stärke des Social Web, Themen auch kontrovers zu erörtern. Da kann der Ton durchaus einmal etwas rauer werden. Aber längst nicht jeder verschärfte Disput mündet gleich in einen Shitstorm.

Warum also herrscht so massive Angst vor der Shitstorm-Gefahr?

Es liegt an der allgemein stürmischen Atmosphäre: Privatpersonen und Selbständige, kleine und mittelständische Unternehmen, große Firmen und Konzerne: Niemand hält sich zu unbedeutend für einen Überfall und niemand für zu groß, als dass er keine Furcht vor der Meinungsattacke hätte. Dabei wäre es sinnvoll, etwas differenzierter und mit weniger Schlagworten an die Problematik der Onlineangriffe heranzugehen.

Wer genau hinschaut, sieht, dass sich hinter dem plakativen Begriff „Shitstorm“ viel mehr verbirgt, als nur eine planlose Massivattacke möglichst vieler Online-User, die im Affekt Vorwurf auf Vorwurf, Beschimpfung auf Beschimpfung, oft unter der Gürtellinie, formulieren und posten. Tatsächlich äußert sich auf diese Weise im Internet oft eine Empörungswelle, die man durchaus differenziert betrachten kann. Zwar ist es so, dass viele – oft auch unbedacht – auf der wachsenden Welle einfach mitsurfen, oft lediglich aus der Lust an der Auseinandersetzung, öfter aber, weil sie das Thema berührt.

Beim Interesse am Thema, das die Nutzer bewegt, sich an einer Angriffswelle zu beteiligen, gilt es anzusetzen, die Äußerungen ernstzunehmend, auch wenn einem manches nicht passt, was da gesagt wird. Die Empörungswelle, die da – oft reflexartig abgesurft wird – kann mal höher und mal niedriger sein. Sich aufschaukeln oder auch brechen. Wichtig ist es auf jeden Fall, die Situation zu entdramatisieren und möglichst konkret auf die oft diffusen Äußerungen einzugehen. Hier liegt für den Angegriffenen die Chance der Entgegnung.

Es ist halt – salopp gesagt – nicht alles Scheiße, was da im Ansturm der Entrüstung herumfliegt. Zwischen platten Anfeindungen, heftigen Emotionen und der Lust an der Konfrontation finden sich auch ernstzunehmende Argumente. Sie gilt es in Betracht zu nehmen und zu untersuchen, ja im Disput positiv zu nutzen, während sich gleichzeitig das inhaltslos Geschrei versendet. Wer in dieser Situation eine Geschichte findet, wer vermag, seine Story zu erzählen, Hintergründe transparent zu machen, dies alles zum eigenen Nutzen und gleichzeitig im Interesse der Mitleser, der hat die Chance ein hohes Maß der „fliegenden Energie“ zu binden.

Um in Angriffssituationen nicht im Affekt reagieren zu müssen, sondern ad hoc zu verstehen, worum es geht, empfehle ich als ein Mittel zur präventiven Krisenkommunikation im Laufe der Zeit eine „Empörungs-Map“ anzulegen. In diese Map zeichne ich ein, welche Themen im Social Web generell und explizit auf dem eigenen Kanal zu empörten Reaktionen führen und beobachte ihre Entwicklung. Wer rechtzeitig merkt, worum es geht, wo die „empörenden“ Schwerpunkte liegen, der kann auch erkennen, wo er in Gefahr geraten könnte, aber auch, wo sich Chancen für eine erfolgreiche Positionierung auf dem Rücken der Empörungswelle bieten. Vor allem aber lehrt der genaue Blick, dass es viel mehr gibt, als den vielbeschworenen „Shitstorm“. Der Sturm der Entrüstung hat viele Nuancen, in denen sich der Geist der Zeit spiegelt. Wer ihn versteht, gewinnt Stärke.


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