Lernen, mit den Waffen der Angreifer zu kämpfen
Wie man sich auf böse Überraschungen in Social Media vorbereitet und warum Training auch für einen Shitstorm die beste Selbstverteidigung ist.
Gute Selbstverteidigung bewahrt vor Verletzungen. Das gilt offline, aber auch online. Denn da wie dort lauern Angreifer, die uns mit physischen oder psychischen Schäden drohen. Wer je an einem Selbstverteidigungskurs teilgenommen hat, weiß, dass Deeskalation die beste Verteidigung ist. Es gilt, die Situation im Griff zu behalten. Souverän erscheinen, Ruhe bewahren, ausweichen und den Aggressor ins Leere laufen lassen: Das kann im Alltag auf der Straße Leben retten. Genau dies ist aber auch die hohe Kunst der Reaktion auf einen Angriff im Social Web.
Kaum jemand, der auf öffentliche Akzeptanz angewiesen ist, kann es sich heute noch erlauben, im Internet, speziell aber in den sozialen Netzwerken auf eine professionelle Präsenz zu verzichten. Hier nimmt man oft noch stärker sichtbar am öffentlichen Leben teil, als im Alltag von Stadt und Land, Beruf und Privatsphäre. Gerade in der Online-Welt gilt es, Gesicht zu zeigen und Themen zu besetzen, vor allen Dingen aber Identität zu beweisen. Wenn wir diese Aufgabe nicht übernehmen, laufen wir Gefahr, dass andere in unserem Namen sprechen.
Doch dabei sein ist noch längst nicht alles. Denn auch wer das kleine Einmaleins von Facebook, Twitter, Instagram und Co. beherrscht, läuft Gefahr, im selbstgeschaffenen Umfeld angegriffen und bloßgestellt zu werden. Wer sichtbar ist, lockt oft auch böse Blicke auf sich. Niemand ist vor aggressiven Postings, Angriffen und Bloßstellungen sicher. Und das Maximum solcher Angriffe wird im sogenannten Shitstorm erreicht.
Wer in solch einem Augenblick richtig reagieren will, kommt nicht umhin, seine Verhaltensweisen zu trainieren. Selbstverteidigung will erlernt sein. Auch im Netz. Nur aus dem Bauch, nur im Affekt zu handeln, ist eine viel zu risikobehaftete Strategie, als dass sie ernsthaft erwogen werden sollte. Gleichgültig wie massiv ein Angriff aus dem Internet ausfällt, gleichgültig ob sein Anlass auf Fehlverhalten basiert oder völlig unberechtigt ist, im Endeffekt sieht man sich alleine einer Masse von gleichgeschalteten feindlichen Stimmen gegenüber.
Oft lässt sich schwer beurteilen, ob es sich um eine massive Diskussion, einen Disput an der Schwelle zur Aggression oder schon um einen Shitstorm handelt. Nur wer die Waffen und die Taktiken der Angreifer kennt, kann taxieren, wie gefährlich sie sind. In solchen Situationen zahlt sich Erfahrung aus, Erfahrung, die man erarbeitet und verinnerlicht hat, Erfahrung, für die man trainiert und geübt hat.
Denn es ist genau wie bei physischer Selbstverteidigung, wie beim Training gegen Angriffe, mit denen man auf dunkler Straße oder in leeren S-Bahn-Zügen konfrontiert wird: Man muss die Sachlage richtig einschätzen, sich situationsgerecht verhalten und die passenden Reflexe haben. Das richtige Verhalten in Social-Media-Krisen lässt sich zwar nicht auf Turnmatten und Sportzentren üben, wohl aber im Internet mit einem Social Media-Simulator, sozusagen als virtuelles Fitness-Center, in dem man lernt, sich effektiv zu wehren.
Der Trick des Simulators: Er übt nicht nur in die Verteidigung ein und zeigt in realer Umgebung, den Effekt von Affekt und Impuls, aber auch von Zögern und Zagen. Falsche Impulse und unüberlegte Emotion führen unweigerlich zur Eskalation der Situation, während kluges Handeln und sachliche Reaktion die Aufregung dämpfen können. Zudem macht der Simulator durch Seitenwechsel auch die Situation des Angreifer transparent: Im Simulator kann man problemlos den Platz des Aggressors einnehmen. Wer einmal den Rausch der Online-Attacke verstanden hat, versteht in Zukunft, was den Angreifer bewegt, welche vernichtende Kraft hinter ihm steht, wie stark er sich fühlt.
Solch ein Verständnis stärkt im Ernstfall die Selbstbeherrschung, und hilft, unüberlegte Reflexe zu vermeiden. Gepaart mit eloquenter Verteidigungsroutine, die sich im Simulator erwerben lässt, lässt sich ohne gefährliche Blöße aus der Deckung zu agieren. Den Gegner zu verstehen, zu erkennen, was ihn treibt, ihn erregt, ihn befeuert, eröffnet die Chance, ihm den wichtigsten, ersten Schritt voraus zu sein. Damit er uns nicht überraschen kann und jederzeit zu spät kommt.
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